Bodybuilding – Gewinnen oder verlieren
von Ox
“Wenn Du gewinnst, dann gewinnst Du. Wenn Du verlierst, dann gewinnst Du trotzdem." – Joey LaMotta in "Raging Bull".
Ich kann mich noch daran erinnern, als ich das erste Mal daran dachte, an einer Bodybuilding Meisterschaft teilzunehmen. Ich trainierte in einem großen Studio in meiner Heimatstadt und da war dieser Typ, der seit kurzem im Studio trainierte und den ich immer häufiger beim Training sah. Es gab da super viele Leute die dort trainierten; um ehrlich zu sein, ich nahm nur Notiz von 2 Leuten. Als Erstes der gerade erwähnte Typ, der nicht nur aussah wie ein Tier, sondern auch so trainierte. Dann noch der Heini der beratungsresistent war, aber eben auffiel, weil er jede Übung so unglaublich inkorrekt ausführte. Man musste einfach hinsehen und sich selbst fragen, welche verdammte Muskelgruppe er gerade trainieren wollte.
Egal, der Neue schien sich auf jeden Fall zu einem Monster zu entwickeln. Er war etwa 1.90cm groß, etwa 130kg schwer und hatte ein Kreuz so breit, dass sein Latissimus an den Seiten heraus ragte, als ob jemand 2 große Scheiben Fleisch an seine Seiten genagelt hätte. Ich stellte fest, dass er auch mich beobachtete. Dazu muss ich sagen, dass es mir normalerweise völlig egal ist, was jemand anderes im Studio macht. Wenn man aber einen so durchtrainierten, kräftigen Sportler im Studio sieht, dann nimmt man automatisch Notiz von ihm.
Als ich eines Tages zum Training ging, sah ich ihn am Tresen sitzen. Ich nahm an, dass er auf seinen Trainingspartner wartete, mit dem er normalerweise trainierte und fragte ihn daher, wo sein Trainingspartner wäre. Er antwortete, "Ich weiß es nicht. Der Kerl kommt immer zu spät." Ich trainierte immer alleine. Das Gefühl, oder auch nur der Gedanke, jemand anderes könnte mich beim Training ausbremsen, machte mich schon krank. Ich kann schon extrem ungeduldig sein. Wenn ich mir diesen Typen ansah, hatte ich aber nicht im geringsten das Gefühl, dass das mit ihm ein Problem werden könnte.
"Was steht bei Dir heute auf dem Plan?" fragte ich ihn daher. Er antwortete, "Arme. Hast Du Lust mit zu trainieren?". So begann es also. Wir redeten nicht viel. Ich gab überwiegend den Ablauf vor und er machte mit. Wir trainierten beide härter, als wir das wohl üblicherweise alleine getan hätten. Wahrscheinlich wollten wir vermeiden, dass der andere denken könnte, man wäre ein Weichei. Drop Sets, Super Sets und hohe Gewichte. Das stand auf dem Programm.
Als wir fertig waren, tranken wir beide erst mal einen Proteinshake und quatschten noch ein bisschen miteinander. Er fragte mich, ob ich schon mal an einer Bodybuilding Meisterschaft teilgenommen hätte. Ich antwortete ihm, dass ich noch nie auf einer Meisterschaft angetreten war, es aber schon länger vorhatte. O.k., ich riß mir jeden Tag meinen Arsch im Studio auf, feierte nicht exzessiv, achtete extrem auf meine Ernährung und machte es zur Mission, jede Nacht 9 Stunden Schlaf zu bekommen. Ich lebte ein Leben, als ob ich mich bereit machte für die Teilnahme an einer großen Bodybuilding Meisterschaft. Ich hatte nur keine Ahnung, wie ich das tatsächlich angehen sollte. Er sagte mir, wenn ich so aussehe wie ich das tue, wüsste ich verdammt noch mal schon viel mehr, als ich mir das vorstellen könne. Auf jeden Fall nahmen wir uns vor, ab sofort zusammen zu trainieren. "Was ist mit Deinem Trainingspartner?", fragte ich. "Wer?", war alles was er erwiderte.
Wir trainierten ein paar Monate zusammen. Das war das erste Mal in meiner Bodybuilding Karriere, dass ich mit jemandem zusammen trainierte und das auch noch regelmäßig. Um das noch zu toppen, ich hatte auch noch nie mit jemandem zusammen trainiert der so stark war wie ich und, in einigen Bereichen, sogar noch stärker war als ich. Was bewegte mich dazu? Ich wollte seine Stärke mit meiner Intensität bezwingen. Ich habe mich selbst nie als wettkampforientierten Menschen gesehen und wenn ich mit Ron trainierte, versuchte ich nicht krampfhaft, ihn zu übertrumpfen. Unsere Trainingspartnerschaft trieb mich nur dazu, noch intensiver und mit mehr Hingabe als je zuvor zu trainieren. Wenn man mit jemand zusammen trainiert, dann wird man sich seiner selbst noch stärker bewusst. Es war an der Zeit für mich, weitere Fortschritte zu machen. Das tat ich auch. Wir beide. Ich bin der Meinung, dass ich in den paar Monaten gemeinsamen Trainings mehr Fortschritte gemacht habe, als in dem ganzen Jahr davor.
"Du weißt, dass die Zeit jetzt reif ist für Deine Teilnahme an der ersten Bodybuilding Meisterschaft." Das was Ron zu mir sagte klang nett und schmeichelhaft, aber ich war der Meinung dass es noch nicht so weit war."Du bist definitiv reif für die Bühne", sagte er. O.k., sagte ich zu ihm. Ich sagte ihm nur, dass selbst wenn ich wollte, so wüsste ich nicht an welcher Meisterschaft ich teilnehmen sollte und wie das alles vom Ablauf aussehen würde. Ich war bis zu dem Zeitpunkt jemand, der noch nie in seinem Leben ein Abo für ein Bodybuilding Magazin besaß, sich noch nie live eine Bodybuilding Meisterschaft angesehen hatte und nicht eine einzige Trainings DVD besaß. "Die Bev Francis Atlantic States Show ist der Wettbewerb für Dich", antwortete er. O.k., was auch immer das für eine Show ist. Klang gut. "Es ist eine NPC Show Anfang Juni, also hast Du noch 10 Wochen Zeit zur Vorbereitung." Ich wusste nicht was NPC bedeutete. Eigentlich hatte ich diesbezüglich von nichts eine Ahnung. Alles was ich wusste, ich verbrachte viele Stunden jede Woche im Studio und hatte über die Jahre große Fortschritte gemacht. Jetzt hatte ich das Bedürfnis es heraus zu lassen und zu sehen, wo ich stand.
Ich begann also mit meiner Diät 10 Wochen vor der Show. Der 04.05.2005 war der genaue Termin. Ich stellte mir eine Diät zusammen, die auf dem basierte, was ich schon in der Vergangenheit hin und wieder genutzt hatte. Meine Diät war ganz konventionell; 6 Mahlzeiten am Tag, viel Protein, wenig Kohlenhydrate, wenig Fett. Ich machte ein paarmal in der Woche Cardiotraining in den ersten Wochen und verstärkte das noch, je näher die Meisterschaft kam. Egal, darum geht es garnicht. Meine Ernährung und das Training passten auf jeden Fall und es waren noch 4 Wochen bis zum Termin. Ein Freund von mir bewegte mich dazu, mich mit den Inhabern des Gold´s Gym in New Haven, Connecticut zu treffen. Er meinte ich müsse da trainieren, da alle anderen Studios in der Gegend Scheiße wären.
Er lag richtig. Das Studio war genial. Kurzhanteln bis 100kg, 5 Kniebeugen Ständer, Tonnen an 50Kg Hantelscheiben und viel von dem tollen Equipment aus den späten 80er und frühen 90er Jahren. All das und noch dazu die drei italienischen Brüder denen das Glod´s Gym gehörte, die das Bodybuilding liebten und die mich vom ersten Tag an wissen ließen, dass dies mein Studio wäre, egal was ich im Bodybuilding noch erreichen wolle. Ich kann mich noch daran erinnern das Jerry zu mir sagte, "Ox, wenn Du mit Deiner Power was kaputt machst, dann mache es. Wenn Du in meinem Studio von der Decke hängen willst, tue es. Du kannst schreien, stöhnen, ohne Dein Trainingsshirt herumlaufen, mache was immer Du für richtig hältst." Das gefiel mir. Fühlte sich gut an. Kenny, einer der Trainer im Studio, bot mir seine Hilfe an als es darum ging, das Posen zu üben. Das war klasse, da ich bis zu dem Zeitpunkt noch absolut keine Ahnung hatte und Kenny in der Beziehung ein Genie war.
An einem Samstag Nachmittag arbeitete ich mit Kenny an meinem Posing. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, ich trainierte meine Waden und die Beinbeuger. Morgens bat ich noch meinen Cousin, den ich schon eine Weile nicht gesehen hatte, noch im Studio vorbei zu kommen und meine Form zu checken. Ich war gerade dabei, meinen letzten Satz Kreuzheben zu beenden, als er zu mir kam. Er stand nur da und grinste und als ich die Hantel ablegte sagte er, "Ey, you look sick!" Danach folgten Sprüche wie, Du gewinnst die Show, Du pustest die anderen Typen von der Bühne, aus Dir wird mal ein Bodybuilding Pro…Das ging weiter und weiter. Ich hörte noch viele ähnliche Sprüche von Freunden und anderen Sportlern im Gold´s Gym.
Liebe ich jetzt alle diese Leute für die Unterstützung, den Zuspruch den sie mir gaben und den Glauben an meine Fähigkeiten? Ja, da liegst Du goldrichtig. Bis zum heutigen Tag bedeutet das sehr viel für mich. Aber ich hörte damals nicht wirklich, was sie mir sagten. Es gibt etwas das Du verstehen solltest und das ist auch der Grund, weshalb ich diese Zeilen aufschreibe. Ich tat all dies für mich und für niemand anderen!
Ich beschloß nicht an einer Bodybuilding Meisterschaft teilzunehmen um zu gewinnen. Ich gab einen Scheißdreck darauf. Für mich war nur wichtig auf die Bühne zu kommen und krank auszusehen. Ich wollte die Leute im Publikum und die Kampfrichter beeindrucken. Später wollte ich auf die Fotos des Wettkampfes sehen und zu mir selbst sagen können, "Oh Scheiße, das bin ja ich". Ich wollte ein Gefühl der Befriedigung spüren. Ich wollte das all die Zeit, die ich mich im Studio gequält habe und die Nächte, in denen ich zu Hause blieb, während sich meine Freunde auf Partys vergnügten und all die anderen Dinge, einem beim Anblick der Fotos entgegen sprangen. Für mich sollte das der Beweis sein, dass meine Hingabe, die harte Arbeit und die Entbehrungen sich gelohnt haben. Das ist es. Dafür musste ich nicht zwangsläufig gewinnen.
Viel ist seit meiner ersten Bodybuilding Meisterschaft passiert. Es ist zwar nur ein paar Jahre her, aber glücklicherweise waren diese sehr produktiv für mich. Das ist schon ein schönes Gefühl, wenn man seinen Namen in vielen Foren liest, reihenweise E-Mails von Fans erhält und so fort. Ich höre viele Leute die sich über Gewinn und Niederlage unterhalten. Meine Freunde wollen ihre Meisterschaften gewinnen. Wer wird die Mr.Olympia Wahl gewinnen? Werde ich die Nationals gewinnen? Ich muss zugeben, wenn der Gewinn einer Meisterschaft Prämien mit sich bringt, wird es immer schwerer sich selbst zu sagen, dass zu gewinnen nichts bedeuten würde. Du wirst Deinen Arsch verwetten, dass es sich gut anfühlt zu gewinnen. Die Leute sind noch ein bisschen netter zu Dir. Scheiße, selbst das Essen schmeckt nach einem Sieg besser. All dass und ich beharre darauf zu sagen, "Scheiß drauf!".
Ein Sieg macht noch keine Persönlichkeit aus. Du bist der Pokal. Du bist das Produkt. Ich habe meine eigenen Ziele und Prioritäten. Ich kenne ein paar Leute, mögliche Champions, die für mich nichts darstellen. Neben den Bemühungen ihre Wettkämpfe zu gewinnen, haben sie nie irgendetwas für irgendjemanden getan. Ganz sicher haben sie auch nie etwas nützliches für unseren Sport, dem Bodybuilding, getan. Ich habe nie das Siegen zu meinem Fokus gemacht und ich verweigere es auch jetzt noch. Ich war schon ein Bodybuilder, bevor ich überhaupt das erste Mal auf einer Bühne stand. Gewinnen oder verlieren, das zeichnet mich nicht aus, schadet mir aber auch nicht. Ich lebe nach meinen eigenen Standards. Es geht nur um mich und den Kampf mit mir selbst.
0 thoughts on “Bodybuilding – Gewinnen oder verlieren”